Beteigeuze ist ein veränderlicher Stern im Orion, dessen Helligkeit mehr oder weniger regelmäßig schwankt. Als seine Leuchtkraft im Januar 2020 stärker abfiel als üblich, erregte Beteigeuzes Wechselhaftigkeit große Aufmerksamkeit. Manche Beobachter hielten die Verdunklung sogar für ein Zeichen seines baldigen Endes, eine Supernova in der geringen Entfernung Beteigeuzes wäre ein beeindruckendes Spektakel.
Dazu kam es bisher nicht. Die Helligkeit steigt seit Anfang Februar wieder an und die Verdunklung kam laut einer Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte ESO wahrscheinlich durch ausgeworfene Masse oder durch kühlere Bereiche auf der Sternenoberfläche zustande.
Die Variabilität Beteigeuzes ist der modernen Astronomie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt. Die erste schriftliche Erwähnung ist von John Herschel aus dem Jahr 1840. Es gibt jedoch ältere, nicht schriftliche Zeugnisse. In den mündlichen Überlieferungen Australischer Aborigines fand Duane Hamacher zusammen mit Doktorand Trevor Leaman die Beschreibung der veränderlichen Sterne Beteigeuze und Aldebaran.
Nyeeruna und die Yugarilya Schwestern
Die Kokatha sind Australische Aborigines am Ostrand der Großen Victoria-Wüste. Sie erzählen, wie Nyeeruna (Orion) in Ockerbemalung und mit Federkopfschmuck den Yugarilya Schwestern (Plejaden) nachstellt. Die älteste Schwester Kambugudha, dargestellt durch den V-förmigen Teil im Sternbild Stier, stellt sich ihm entgegen, platziert Dingowelpen zwischen sich und den Mann und verspottet ihn.
Wütend, aber voller Lust füllt Nyeeruna den Knüppel in seiner rechten Hand (Beteigeuze) mit “Feuermagie”, um diese auf Kambugudha loszulassen. Aber auch sie verfügt über “Feuermagie”, in ihrem linken Fuß (Aldebaran). Drohend erhebt Kambugudha den Fuß gegen Nyeeruna. Gedemütigt und verängstigt verliert seine “Feuermagie” an Kraft.
Mit der Zeit erholt sich Nyeerunas Magie. Sein Feuer und seine Lust entzünden sich erneut, der Knüppel füllt sich ein weiteres Mal mit Magie und der Angreifer setzt die Verfolgung der Schwestern fort. Diesmal ruft Kambugudha den Dingovater Babba an. Babba drängt schließlich Nyeeruna zurück. Vom Gelächter und Spott Kambugudhas erniedrigt, verringert sich die Magie aufs Neue.
Schriftlich festgehalten hat die Überlieferung Daisy Bates am Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie vermutete die “Strahlung von Nebeln” als Ursache für das Aufflammen der Lust. Das deutet darauf hin, dass ihr die Veränderlichkeit Beteigeuzes nicht bekannt war. Erst Hamacher und Leaman erkennen die Natur des Sterns als Hintergrund der Feuermagie. Außerdem deuten sie Kambugudhas Hilferuf als Zeichen dafür, dass ihre Magie sich nicht schnell genug erholen kann. Aldebaran ist nur ein sogenannter “Langsam unregelmäßig Veränderlicher”, Beteigeuze schwankt viel häufiger.
Aufzeichnung
Daisy Bates war eine Anthropologin ohne formelle Ausbildung, die ihre ersten Erfahrungen in Beagle Bay im Nordwesten Australiens sammelte. Nach verschiedenen Stationen in Westaustralien zog sie 1919 nach Ooldea in Südaustralien.
Zu dieser Zeit wurde Ooldea von den Kolonisten beim Ausbau der Transaustralischen Eisenbahn, als Ausgangspunkt für Inlandexpeditionen und zur Missionierung der Aborigines benutzt. Die permanente Wasserquelle in der Nähe Ooldeas war in Trockenzeiten ein wichtiger Rückzugsort für viele Aborigines der Gegend, auch für die Kokatha. Lange Handelsrouten liefen hier zusammen. Bates lebte bis 1935 an dem Ort, beobachtete das Leben der Aborigines und schrieb unter anderem die Geschichte von Nyeeruna und den Yugarilya Schwestern auf.
Duane Hamacher veröffentlichte seine Interpretation der Überlieferung in 2014 und 2017. Hamacher hatte ursprünglich in den USA Physik studierte, ist dann als Auslandsstudent nach Australien gezogen und schrieb seine Masterarbeit über Exoplaneten. Er merkte aber, dass ihn Archäoastronomie viel mehr interessierte, weshalb er in die Anthropologie wechselte und schließlich eine Doktorarbeit über die Astronomie der Aborigines schrieb. Ein bis dahin wenig erforschtes Thema.
Nicht alle folgten jedoch Hamachers Sicht auf Nyeerunas Geschichte. “Einige prominente Amateurastronomen nannten mich einen Lügner und Betrüger.” berichtet er auf Anfrage. Laut den Kritikern sei es unmöglich, dass Aborigines veränderliche Sterne identifiziert hätten.
Rückendeckung
Bradley Schaefer ist ein heute emeritierter Astrophysiker. Er arbeitete mit Supernovas, Doppelsternen und Dunkler Materie, veröffentlichte aber auch über Astronomiegeschichte. Einen großen Teil seiner Zeit widmete er dem entlarven falscher, meist besonders spektakulärer Interpretationen.
“Meine reflexartige Reaktion bei Behauptungen zu uraltem Wissen ist Skepsis,” schreibt er 2018. Es seien meist “mangelhafte Behauptungen, meistens über exotische Entdeckungen, zu denen es keine Belege gibt”. Beteigeuzes Veränderlichkeit ist aber gerade nicht exotisch. Sie ist stark genug, um mit bloßem Auge beobachtet und häufig genug, um in einem Menschenleben leicht erkannt zu werden ist. In etwa vierhunderttägigem Rhythmus schwankt Beteigeuze zwischen Platz zehn und Platz fünfzehn der hellsten Sterne. Dass Aborigines an Astronomie ein hohes Interesse haben, ist eindeutig belegt.
Ein weiterer Grund für die sonst meist skeptische Einstellung Schaefers ist, dass die Aufzeichnungen oder Überlieferungen, die vielen Behauptungen zugrunde liegen, mehrdeutig sind. So wird oft jeder “alte Kringel als Supernova dargestellt.” Auf die Darstellung Beteigeuzes in der Geschichte Nyeerunas trifft dies aber nicht zu. Da geht es um das regelmäßige Aufflammen zweier eindeutig identifizierter Sterne.
Bradley Schaefer hat keine Zweifel an der Richtigkeit Hamachers Schlussfolgerungen. So wenig, dass er sein Antwortpaper mit den Worten: “Ja, Australische Aborigines konnten und haben die Variabilität Beteigeuzes entdeckt” betitelte.
Auf Nachfrage zu dem Thema und mit Blick auf die besonders starke Verdunklung Anfang des Jahres 2020 schrieb uns Schaefer: “Die Veränderlichkeit ist offenkundig. Letzten Monat wurde der Welt der Beweis präsentiert, wie einfach die Veränderlichkeit Beteigeuzes zu entdecken ist.”
©Niko Komin (@kokemikal)
Quellenangabe:
- John Herschel: “Outlines of Astronomy” (Seite 601)
- Hamacher: “Observations of red-giant variable stars by Aboriginal Australians”, The Australian Journal of Anthropology (2017), (arXiv)
- Leaman und Hamacher: “Aboriginal Astronomical Traditions from Ooldea, South Australia Part 1: Nyeeruna and the Orion Story”, Journal of Astronomical History and Heritage (2014), (arxiv)
- Schaefer: “Yes, Aboriginal Australians Can and Did Discover the Variability of Betelgeuse”, Journal of Astronomical History and Heritage (2018), (arXiv)
- Colley et al.: “The Archaeology of Daisy Bates’ Campsite at Ooldea, South Australia”, Australian Archaeology (1989), (Bezahlschranke)
Bildnachweis:
- Titelbild: Orion am 22.2.2012 (links) und am 21.2.2020 (rechts) von H. Raab, (CC BY-SA 4.0)
- Foto von Daisy Bates: State Library of South Australia [B 6799]
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