Tropfen wundervoll in Szene gesetzt

“Es ist ein Glück, in der Strömungslehre zu arbeiten. So wie bei manchen KollegInnen, zum Beispiel in der Optik, ist unsere Arbeit leicht zu veranschaulichen.”

Milton Denman Van Dyke in An Album of Fluid Motion (1982)

Flüssigkeiten und Gase strömen um Hindernisse, mal ganz langsam und gleichmäßig, mal schnell und turbulent. Das sind die Gegenstände der Strömungslehre. Der Strudel im Badewasser, Rauchringe, Wassertropfen oder Seifenblasen – die Ästhetik dieser Phänomene ist wahrscheinlich den meisten Menschen offensichtlich.

Milton Van Dyke (1922-2010) war fasziniert von der Strömungslehre, er forschte sehr lange und erfolgreich auf diesem Gebiet. Einmal entdeckte er auf einer Reise den Atlas optischer Erscheinungen – fünfundvierzig Fotos sich brechender, beugender und überlagernder Lichtstrahlen – und war nachhaltig beeindruckt, denn diese Fotos von Experimenten stellen die der Natur innewohnende Schönheit über die technischen Aspekte. Seitdem er dieses Buch gesehen hatte, träumte Van Dyke von einem ähnlichen Album der schönsten Fotos strömender Fluide. Er erträumte An Album of Fluid Motion.

Etwa zwei Jahrzehnte später erschien es. Van Dyke hatte KollegInnen um Bilder gebeten, sie gesammelt und dann eine Auswahl getroffen. Das fertige Buch gab er 1982 in seinem eigenen Verlag The Parabolic Press heraus. Diesen hatte er einst gegründet, um sein erstes Buch weiter zu verlegen. Ein Lehrbuch der Strömungslehre, das der ursprüngliche Verlag trotz guter Verkäufe eingestampft hatte. Wahrscheinlich weil es nicht besonders viel Geld abwarf, denn Van Dyke hatte beim Vertragsabschluss auf einen maximalen Verkaufspreis bestanden, um das Buch allen Studierenden zugänglich zu machen.

Auch das Album sollte erschwinglich bleiben. Daher verzichtete Van Dyke auf farbige Abbildungen und inzwischen kann die elektronische Version sogar kostenlos beim Verlag heruntergeladen werden. Wer auf die Papierform wert legt, muss allerdings in einer Bibliothek nachschauen, eines der 400 bis 1000 Euro teuren Angebote im Internet erstehen oder einen Milton Van Dyke-Preis gewinnen. Da gehört eine Ausgabe dazu. Gedruckt wird das Buch nicht mehr.

Van Dykes Buch "An Album of Fluid Motion" in einer Bibliothek.
Milton Van Dykes Buch An Album of Fluid Motion in einer Bibliothek.

Der Milton Van Dyke-Preis

Wenn die Abteilung Strömungslehre der American Physical Society zur jährlichen Versammlung ruft, sind nicht nur technische Beiträge gefragt. Solche, die den ästhetischen Wert in den Mittelpunkt stellen, werden seit 2014 in einer eigenen Gallery of Fluid Motion gesammelt. Die jeweils etwa fünfzig Videos und einhundert Poster sind allesamt spektakulär. Die besten Beiträge werden mit dem Milton Van Dyke-Preis ausgezeichnet. Die Gewinnervideos der letzten Tagung im vergangenen Herbst setzen Wassertropfen eindrucksvoll in Szene. Sie sind absolut sehenswert und seien hier kurz vorgestellt und verlinkt.

Crystal Critters / Kristalltierchen

Im Wasser gelöste Salze bleiben beim Trocknen übrig. Die Salzbestandteile, die Ionen, können sich aber nicht einfach irgendwo hinlegen und ausruhen, sondern sie werden auf feste Plätze gezwungen, zum Beispiel auf die Ecken imaginärer Würfel. Es entsteht ein Kristall.

Kleine Tropfen Salzwasser auf einer wasserabweisenden Oberfläche formen fast perfekte Kugeln. Durch einen beheizten Untergrund angetrieben verdampft das Wasser und die entstehenden Salzkristalle wachsen grob innerhalb der Kugelform. Doch dann passiert etwas überraschendes: den Kugeln wachsen Beine.

Im Labor von Kripa Varanasi am MIT in den USA filmte ein Team die Crystal Critters genannten Kristalltierchen und schauten sie sich genauer an. Die Beinchen sind hohl: es sind kleine Röhrchen aus denen das restliche Wasser strömt, das beim Austritt die Beinchen wachsen lässt (im Video etwa bei 1min 30s).

Video-Screenshot Kristalltierchen aus trocknenden Tropfen. Gewinner Milton Van Dyke-Preis 2019.
“Die Krabbe – Der Elefant – Der Android: ‘Critters’ sind gut reproduzierbar und kommen in verschiedenen Formen vor.” (Screenshot: YouTube/APS physics)

Trockenblumen

Irmgard Bischofberger und ihr Student Paul Lilin vom MIT, sowie Guillaume Sintès und Philippe Bourrianne haben auch trocknende Wassertropfen gefilmt, allerdings auf einer benetzenden Oberfläche. So breiten sich die Tropfen kreisrund aus. Statt gelöster Salze schwimmt in den Tropfen Quartzsand. Die Sandkörnchen sind so fein (20 Nanometer), das sie Nanopartikel genannt werden. Wenn die Tropfen vom Rande her austrocknen, bleibt eine dünne Sandschicht übrig.

Zwar werden die Sandkörnchen nicht auf feste Gitterplätze gezwungen wie die Salzionen, dennoch halten sie sich gegenseitig leicht fest. Dadurch schieben und ziehen sich die Körnchen beim Trocknen hin und her bis Risse in der Sandschicht entstehen. Die Ränder biegen sich nach oben und es entsteht eine transparente Blüte. Wie viele Blätter sie hat und wie stark sie gekrümmt sind, darüber entscheidet die Menge der beigefügten Nanopartikel.

Video-Screenshot Blütenmuster in trocknenden Tropfen. Gewinner Milton Van Dyke-Preis 2019.
“Die Blütenblätter biegen sich auch weniger…” Die Prozentzahl über den drei Blüten gibt an, wie viel Sand in den Tropfen war. Der schwarze Balken unten rechts ist einen Millimeter lang. (Screenshot: YouTube/APS physics)

Aufgespießte Tropfen

Das Lutetium Projekt, ein YouTube-Kanal französischer Studierender, hat schon zum zweiten Mal den Milton Van Dyke-Preis abgestaubt. Zusammen mit dem PMMH der Hochschule für angewandte Physik und Chemie der Stadt Paris filmten sie diesmal Wassertropfen beim Aufprall auf verschiedene Hindernisse.

Die Tropfen fallen zunächst auf eine sehr saubere und ebene Glasscheibe. Sie verformen sich zu einem Pfann- bzw. Eierkuchen und benetzen die Oberfläche kreisförmig. Wenn das Glas aber wasserabweisend beschichtet ist, verhindert die Oberfläche das Benetzen. Dann kann sich der Eierkuchen nicht richtig ausbreiten, zieht sich schnell wieder zusammen und springt zurück in die Höhe, streckt sich der Länge nach und birst schließlich in kleinere Kugeln.

An komplizierteren Oberflächen werden die Tröpfchen regelrecht aufgespießt. Durch die wasserabweisende Schicht wird der Eierkuchen am Ausbreiten gehindert, außerdem dehnt sich das Loch um den “Spieß” herum aus – der Eierkuchen wird zum Donut. Der kann sich auch wieder zusammenziehen oder zerplatzen. Dieses Video hat meditative Wirkung!

Video-Screenshot Aufgespießter Tropfen. Gewinner Milton Van Dyke-Preis 2019.
Ein Wassertropfen im Moment des Aufpralls auf eine kleine Störung in einer sonst glatten Oberfläche. (Screenshot: YouTube/APS physics)

Die Galerie

Neben den Videos sind auch die Poster eine Augenweide. Und wer von den aktuellen Beiträgen nicht genug hat, kann alle älteren Galerien online bestaunen. Meine persönliche Best of-Liste der Poster ist:

Auch in diesen fünf Beispielen ist die Ästhetik offensichtlich, ohne den physikalischen Hintergrund zu kennen.

Eine kurze Biografie Van Dykes gibt es in englischer Sprache von L.W. Schwartz.

©Niko Komin (@kokemikal)


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