Seeigel: Verwandtschaft auf abgelegenen Inseln

Weiße Kugel, etwa 6cm Durchmesser. Drei Viertel der Oberfläche sind mit ca. 5cm langen Stacheln besetzt. Ein Seeigel auf schwarzem Grund. Kennzeichnung des Museums: USNM E11379.
“Holotype”: An diesem Exemplar ‘befestigte’ Julian Fell 1975 den Namen Centrostephanus sylviae. Mit dem Namen ehrte er die berühmte Ozeanografin Sylvia Earle. Das Exemplar liegt heute im National Museum of Natural History in Washington. (Bild: Smithsonian Institution frei zur Verfügung, Public Domain).

Seeigel hatten über vierhundert Millionen Jahre Zeit, sich über den Globus zu verteilen. Seit den 1960er Jahren ist bekannt, dass sie sich vor allem in Wind- bzw. Meeresrichtung ausbreiten. In den Gewässern um die Antarktis herum liegen Arten mit gemeinsamen Vorfahren immer östlich ihrer Ahnen und der Antarktische Zirkumpolarstrom umrundet die Antarktis gemächlich von West nach Ost (H.B. Fell, 1962).

Vor der Küste Chiles liegen die Juan-Fernández-Inseln, ein auf ihnen ausgesetzter Seemann diente als Inspiration für den Roman “Robinson Crusoe”. Mehr als achthundert Kilometer weiter nördlich liegen die auch heute noch unbewohnten Desventuradas-Inseln. Der Humboldtstrom bewegt kaltes Wasser über mehrere tausend Kilometer entlang der südamerikanischen Küste von Süden nach Norden. Er trennt so die Biotope der Inseln vom Festland. Die Verbindung zwischen den beiden Inselgruppen selbst ist aber viel stärker, als es der Humboldtstrom vermuten lässt: Seeigel der Art C. sylviae sind auf beiden Archipelen zu Hause, sind aber trotz der Distanz genetisch nicht zu unterscheiden. Es muss also einen Austausch in beide Richtungen geben. Das zeigt eine aktuelle Arbeit chilenischer ForscherInnen (Veliz, 2021).

Ähnliches zeigten WissenschaftlerInnen schon 2013 beim “Steinhummer” Jasus frontalis. Auch dieser lebt nur in den Gewässern um die beiden Inselgruppen, es finden sich aber auch bei den Tieren im Süden Spuren von Vorfahren aus dem Norden (Porobić, 2013).

Ein genauer Blick auf die Gewässer, mit Satellitendaten und Computermodellen, enthüllt mäandernde Strömungen und Wirbel zwischen den Inseln, welche gelegentlich die Strömung sogar umkehren können. Dies erlaubt also, dass eine Larve von einer Desventurada-Insel auch einmal eine Juan-Fernández-Insel erreichen kann. Von den Steinhummern ist eine relativ lange Larvenzeit bekannt: etwa zwölf Monate verbringen die Tiere in diesem Stadium, bevor sie die Hummerform annehmen. Wie lange C. sylviae zum erwachsen werden braucht, ist derzeit nicht bekannt. Ihre nächsten Verwandten in Australien nehmen sich dafür vier Monate Zeit.

Karte des Südpazifiks mit eingezeichneter Strömung. Vor Chile heißt sie Humboldtstrom.
Fundorte zweier Seeigelarten der Gattung Centrostephanus im südlichen Pazifik: C. rodgersii (vor Australien) und C. sylvia (vor Chile). Das Wasser strömt generell im entgegengesetzten Uhrzeigersinn. Es erwärmt sich am Äquator und kühlt sich um die Antarktis ab. Zwischen den chilenischen Inselgruppen bilden sich aber Wirbel, so dass die Verwandtschaft zwischen den dortigen Seeigeln sehr eng ist. (Karte: ©OpenStreetMap contributors, ©OpenMapTiles, GBIF (Data); Beschriftung: N. Komin; CC BY-SA)

Fund und Name

Manche Bereiche des südöstlichen Pazifiks gelten heute als die “am wenigsten erforschten Gebiete der Welt” (Tapia-Guerra, 2021). Ende der Sechzigerjahre besuchte das Forschungsschiff Anton Bruun die Gegend. Die Ozeanografin Sylvia Earle, damals noch Doktorandin, heute vielfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin mit zahlreichen Veröffentlichungen und außerdem berühmte Umweltaktivistin, brachte von ihren Tauchgängen in den Gewässern um jene chilenischen Inseln bis dahin unbekannte Seeigel an die Oberfläche. Ein paar Jahre später erhielten sie zu Ehren Ehren der Erfinderin ihren wissenschaftlichen Namen Centrostephanus sylviae (Fell, 1975).

Centrostephanus-Seeigel sind weltweit verbreitet. Ihren Namen tragen sie seit den 1850er Jahren. “Der Name leitet sich von Centrum (lat. ‘Mitte’) und Stephanos (griech. ‘Kranz’ oder ‘Krone’) ab”, erklärt uns Carsten Lüter vom Museum für Naturkunde Berlin. Namensgeber Wilhelm Peters hatte damals notiert, dass “die Schale an der Rückseite … nicht vertieft ist” (Peters, 1853). Carsten Lüter vermutet, dass dies Peters an eine Krone erinnerte.

Seeigel und Menschen

Seit langer Zeit stehen Seeigel auf dem Speiseplan vieler Menschen. Schon in zehntausend Jahre alten “Hausabfällen” der Chumash auf der kalifornischen Insel San Miguel finden sich Reste von Strongylocentrotus-Seeigeln. Doch wie viele andere Meerestiere auch, können Seeigel an Überfischung leiden, zum Beispiel Loxechinus albus in Chile. Manche Seeigelarten werden heute auch in Aquakulturen gezüchtet.

Weiße Plastikkiste mit grünlichen Seeigeln, einer davon aufgeschnitten. Man sieht die orangefarbenen Geschlechtsdrüsen. In einer Ecke ein orangefarben gefülltes  Einmachglas. Außerdem ein Preisschild: "Erizos 3 x $1000".
Seeigel zum Verzehr auf einem Markt in Chile. (Foto: Dentren, CC BY-SA 3.0)

Andere Seeigelarten breiten sich aus Mangel an Fressfeinden übermäßig aus und werden so zur Bedrohung für unterseeische Tangwälder. Es bilden sich Seeigel-Wüsten (Spektrum). Andere Arten erobern mit menschlicher Hilfe neue Lebensräume und verändern dort die Artenvielfalt. Im Mittelmeer breitet sich zum Beispiel seit Beginn des 21. Jahrhunderts Diadema setosum aus, eine Art die ursprünglich aus dem Indischen Ozean und Westpazifik stammt.

Im Gesamtbild der Evolution auf der Erde sind Seeigel bisher relativ erfolgreich gewesen: die ältesten Fossilen sind vier- bis fünfhundert Millionen Jahre alt und haben also größere Artensterben überdauert.

©Niko Komin (@kokemikal)


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