Putzerfische und der Spiegeltest

Gemeiner Putzerfisch (Labroides dimidiatus) Foto: Elias Levy

Putzerfische haben den Spiegeltest bestanden. Das heißt, sie erkennen sich in ihrem Abbild und versuchen eine nur im Spiegel sichtbare Markierung zu entfernen. Es wäre die erste Fischart überhaupt, der dies gelingt. Doch es gibt Kritik.

Manche Schimpansen erkennen sich im Spiegel. Dies zeigte Gordon Gallup im Jahr 1970. Menschliche Kleinkinder können dies ab einem Alter von etwa zwei Jahren. Dies zeigte Beulah Amsterdam etwa zur gleichen Zeit. Auch Orang-Utans und Bonobos können den Test bestehen, bei Gorillas sind die Ergebnisse nicht mehr so eindeutig. Für Makaken, Gibbons oder andere Affenarten wurde bisher kein bestandener Test beschrieben. Vielleicht verhindern bei ihnen die ausgeprägten Aggressionen beim Erblicken des vermeintlichen Artgenossen im Spiegel, sich genauer zu inspizieren. Seit der Jahrtausendwende aber haben ganz andere Tierarten Aufsehen erregt: Delfine, Elefanten und sogar Elstern sollen in der Lage sein, sich selbst zu erkennen. Im letzten Jahr nun bestand erstmals eine Fischart diese herausfordernde Prüfung, wie eine japanische Arbeitsgruppe um Alex Jordan aus Konstanz zeigte.

Artgenosse oder Ebenbild?

Die meisten Tiere behandeln ihr Spiegelbild wie einen Artgenossen, zum Beispiel bedrohen oder begrüßen sie ihr Gegenüber. Schimpansen tun dies aber nur anfänglich. Im Versuch von Gallup fingen sie stattdessen nach ein paar Tagen an, sonst nicht sichtbare Stellen ihres Körpers zu untersuchen: unter dem Blick in den Spiegel pickten sie Essensreste aus den Zähnen, popelten in der Nase oder schnitten Grimassen. Dann brachte Gallup unbemerkt eine Farbmarkierung über der Augenbraue und am Ohr der Tiere an. Wieder vor dem Spiegel untersuchten sie die Markierung sehr genau, berührten die Stelle und schnupperten danach an ihren Fingern. Daraus folgerte Gallup, dass Schimpansen sich selbst im Spiegel erkennen.

Ein Putzerfisch interagiert mit seinem Spiegelbild (Foto: Alex Jordan)

Fast fünfzig Jahre später schwammen wild gefangene Putzerfische (Labroides dimidiatus) eine Zeit in einem kargen Aquarium mit Versteck und Stein und einem zunächst abgedeckten Spiegel. Eines Nachts, während die Fische in ihrem Versteck schliefen, wurde der Spiegel enthüllt. Im Angesicht ihres Ebenbildes verhielten sich die Fische aggressiv, als handelte es sich um einen Rivalen (Video). Bald ließen sie jedoch davon ab und legten “ungewöhnliches Verhalten” an den Tag. Beispielsweise schwammen sie vor dem Spiegel überkopf (Video), gesunde Putzerfische tun das sonst nicht. Es hat den Anschein, als testeten sie die Funktionsweise des Spiegels aus. Die Wissenschaftler sehen darin selbstbezogenes Verhalten, vergleichbar mit Schimpansen, die ihr Mundinneres im Spiegel betrachten.

Dann bekamen die Fische unter Narkose eine Markierung. Zunächst eine unsichtbare, um die Verträglichkeit zu prüfen, später einen bräunlichen Fleck als eigentlichen Test. Drei der insgesamt vier am Hals markierten Fische scheuerten sich nach Erblicken an harten Oberflächen. Vorher hatten sie das nicht getan. Auch nicht, als eine Artgenossin hinter einer durchsichtigen Wand zu sehen war. Dies lege nahe, dass auch Putzerfische den Test bestehen können. Entweder sind sich also die Fische ihrer selbst bewusst, ganz so wie es für Schimpansen gilt, oder aber der Test beweist lediglich das Erkennen eines Ebenbildes, ohne ein Selbstbewusstsein im Sinne einer Ich-Erfahrung zu erfordern.

Kritik

Die Herausgeber der Fachzeitschrift sind sich der Tragweite des Ergebnisses bewusst. Daher wurde gleichzeitig die Meinung des Redakteurs veröffentlicht. Frans de Waal, selbst Verhaltensforscher und unter anderem an den Spiegelstudien mit Elefanten beteiligt, warnt vor voreiligen Schlüssen: schwimmen die Fische wirklich überkopf, um die Funktionsweise des Spiegels zu testen? Reicht das Scheuern als Beweis für die Selbsterkenntnis? Auf jeden Fall glaubt er, wie die Autoren auch, dass ein Schwarz-Weiß-Bild des Selbstbewusstseins überholt ist und von einem gleitenden Übergang ersetzt werden muss.

Gordon Gallup ist noch viel skeptischer. Schon in Bezug auf Delfine, Elefanten und Elstern schrieb er 2018 gemeinsam mit James Anderson: “keine dieser Studien […] wurde wiederholt”. Außerdem würden die Beobachtungen auf nur einem Delfinen, bzw. einem Elefanten beruhen und der Versuch mit den Elstern hätte methodische Schwächen. Spanische Wissenschaftler stellten nämlich an Dohlen (Corvus monedula) fest, dass die bei Vögeln üblichen Markierungen von ihnen gefühlt werden können. Damit wird der optische Test unterwandert. Auch die Putzerfische überzeugen Gallup nicht. Auf Nachfrage sagt er: “Ich glaube, dieser Artikel hätte überhaupt nicht veröffentlicht werden sollen.” Sein Vorwurf lautet, es würde keine angemessene Kontrollgruppe geben, denn: “Wie würden Fische ohne vorherigen Kontakt mit Spiegeln auf Markierungen reagieren?” Schimpansen ohne vorherigen Spiegelkontakt ignorieren die farbigen Flecken, da sie gar nicht gelernt hätten, den Spiegel für die Selbstbetrachtung zu benutzen.

Alex Jordan sieht das ein wenig entspannter. Wie solche Fische reagieren würden, wüsste er auch nicht. Es sei aber eine interessante Frage und sie werde in der Nachfolgestudie untersucht. Als Kontrollgruppe diente ihnen die unsichtbare Markierung und die Artgenossin hinter einer Glaswand. Zwar erschien der Artikel im August 2018 als Preprint ohne unabhängige Kontrolle und schlug schon damals große mediale Wellen. Jetzt veröffentlicht aber PLoS Biology die Arbeit und hat dort die fachlichen Gutachter überzeugt. Die Nachfolgestudie, die derzeit vorbereitet wird, soll nicht nur weitere Situationen berücksichtigen, sondern durch den Einsatz von Maschinellem Lernen in der Videoauswertung auch die Subjektivität der menschlichen Beobachter umgehen.

©Niko Komin (Follow @kokemikal)

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