Erbsen lernen doch nicht [update]

Die Wiederholung eines Versuchs ist gescheitert: Erbsen lernen nicht aus der Windrichtung die kommende Richtung des Lichts zu schließen (Markel, eLife (2020)). Trotz größerer Pflanzenzahl und trotz verbesserter Methodik hat sich die sensationelle Behauptung von 2016 nicht bestätigt.

Am Ende des Textes ist eine Aktualisierung des Artikels mit der Reaktion Monica Gaglianos auf die misslungene Wiederholung ihres Experimentes. (20.9.2020)

Blick in eine Wachstumskammer, in welcher die Erbsen lernen sollten, Richtung von Wind und Licht miteinander zu assoziieren.
Blick von oben in die Wachstumskammer der Erbsenkeimlinge. Hier ist die Temperatur und Luftfeuchtigkeit schön gleichmäßig. (Foto: K. Markel, (CC BY 4.0))

Ivan Pavlov trainierte vor über hundert Jahren seine Hunde so, dass sie auf Töne mit Speichelfluss reagierten, weil sie eine Mahlzeit erwarteten. Monica Gagliano brachte 2016 Erbsenkeimlinge dazu, aus der Windrichtung auf die Lichtrichtung zu schließen. Das beschrieb sie zusammen mit weiteren AutorInnen im Journal Scientific Reports. Ein anderes Experiment Gaglianos mit KollegInnen erregte schon zwei Jahre vorher großes Aufsehen: Mimosen könnten lernen, einen sanften Sturz aus 15 Zentimetern Höhe als ungefährlich zu erkennen, falten die Blätter also nicht zusammen und erinnern sich auch noch gut einen Monat später an das Gelernte.

Lernende und sich erinnernde Pflanzen: eine Sensation! Beide Arbeiten bekamen international große Beachtung, sowohl von KollegInnen als auch von WissenschaftlerInnen anderer Disziplinen und von vielen Medien außerhalb der Wissenschaft. Aber es gab nicht nur Zuspruch. Beide Arbeiten wurden auch stark kritisiert, vor allem die Methodik der Experimente und die Interpretation der Beobachtungen.

Gagliano ficht das nicht an. “Macht das Experiment selbst.”, sagte sie 2018 in einem Interview mit Forbes. “Macht ein Experiment, welches zeigt, dass meine Daten und meine Beobachtungen falsch sind”. Weder sie selbst noch jemand Anderes hatte versucht, die Experimente unter kontrollierten Bedingungen zu wiederholen. Und hier kommt Kasey Markel ins Spiel.

“Ich würde versuchen, meine ganze Doktorarbeit über dieses Thema zu schreiben.”

Als die Erbsen-Studie erschien, studierte Kasey Markel im vierten Jahr Biologie an der Universität Florida. Fasziniert davon will er sie wiederholen und darauf aufbauen. Seine Absicht war es zu erforschen, wie lange die Erinnerung erhalten bleibt und wie die molekularen Mechanismen hinter dem Lernprozess aussehen. “Ich würde versuchen, meine ganze Doktorarbeit über dieses Thema zu schreiben.”, erinnert er sich. Doch es kam ganz anders.

Der erste Schritt dafür wäre die Wiederholung des Experiments. Markel beendete das Studium mit einem Bachelor und zieht, bevor er in England ein Masterstudium beginnt, für ein paar Monate zurück in seine Heimat Colorado. Dort kauft er Erbsensamen und Erde und mietet eine Wachstumskammer für Pflanzen. Insgesamt nimmt er dafür etwa 700 Dollar (600 Euro) aus der eigenen Tasche. Freunde und Familie helfen bei der Auswertung. Eine solche “Verblindung”, bei der die Auswertenden nicht am Versuchsaufbau beteiligt sind, fehlte in der Originalstudie.

Aufbau des Experiments. Mit dem Ventilator sollen die Erbsen lernen, Wind- und kommende Lichtrichtung miteinander zu assoziieren.

Wenn die Erbsen gekeimt haben, kommen sie in den Fuß Y-förmiger Plastikrohre. Eine blaue LED leuchtet dreimal am Tag für je eine Stunde in einem der Ärmchen des Y, abwechselnd zwischen links und rechts. Eine Stunde vorher bläst ein Ventilator Wind aus einer Richtung auf die Pflanzen. Ein bis zwei Zentimeter wachsen die Pflänzchen pro Tag und am vierten Tag erreichen sie einen der beiden Arme des Y. Das ist der Tag der Entscheidung. Das Licht wird diesmal nicht eingeschaltet, nur der Ventilator. Haben die Pflanzen gelernt, an der Windrichtung die kommende Lichtrichtung zu erkennen?

Markel nennt es “ein wirklich cooles, cleveres Design”. Um die Genauigkeit zu erhöhen, zieht Markel mehr Pflanzen auf als Gagliano. Mit zusätzlichen Tests beseitigt er methodische Schwächen des Originalexperiments.

Im Pilotteil vor dem eigentlich Test werden am vierten Tag weder Lampen noch Ventilatoren eingeschaltet. Laut Gagliano wachsen alle ihrer Keimlinge an die Richtung, aus der am Vortag das Licht kam. Sie “erinnern” sich daran. Doch Markels Erbsen reagieren anders: nur ein schwacher Trend weist zum Licht des Vortages, die meisten Pflanzen reagieren zufällig. Kein gutes Zeichen.

Im Hauptteil des Experiments wird am vierten Tag der Ventilator eingeschaltet, das Licht bleibt aus. Der Wind kommt aus dem Arm, welcher dem Licht des Vortages gegenüber liegt. In Gaglianos Wachstumskammer entscheiden sich viele der Pflanzen gegen das Licht des Vortages und für die Richtung, die der Wind “verspricht”. Bei Markel in Colorado ist das nicht so. Er kann keinen Einfluss des Windes auf die Richtung des Wachstums ausmachen, die Pflanzen wachsen zufällig mal in den einen und mal in den anderen Arm.

Der Versuch, das Experiment zu wiederholen und die Behauptung zu bestätigen, ist gescheitert.

Versuch gescheitert, wen interessiert’s?

Die Behauptung, Erbsen würden lernen, kann Markel trotz größerem Aufwand also nicht bestätigen. Zwar kann er sie auch nicht komplett widerlegen, vor allem weil die ursprüngliche Erbsensorte außerhalb Australiens nicht zu bekommen ist, aber Markel hält es für unwahrscheinlich, dass die Sorte oder andere minimale Unterschiede im Aufbau dafür verantwortlich sind.

In Anbetracht der Sensation der ursprünglichen Behauptung ist dies eine durchaus heiße Nachricht. Scientific Reports, das Journal der Veröffentlichung von Gagliano, möchte Markels Bericht aber gar nicht haben.

Laut Markel seien die Gutachten stark polarisiert gewesen und selbst unter den Ablehnenden hätte keine Einigkeit bestanden. Wo der oder dem Einen das Experiment zu wenig dem Original ähnelt, also nicht vergleichbar wäre, kritisiert der oder die Andere gerade einen Mangel an Korrekturen der ursprünglichen Methodik. Auf der anderen Seite sei die Zustimmung zu einer Veröffentlichung aber sehr stark gewesen. Letztendlich wird sein Paper nach mehr als einem Jahr der Begutachtung bei Scientific Reports abgelehnt.

“Ich war natürlich ziemlich enttäuscht” sagt Kasey Markel, heute Doktorand an der UC Davis. “Fehler zu korrigieren ist der Schlüssel auf dem Weg zur Wahrheit” und dieser Weg gehe über “die Wiederholung in anderen Laboren und das Ausprobieren verschiedener Variationen”. Nach einer weiteren Ablehnung akzeptierte schließlich das Journal eLife den Artikel. Er erscheint Ende Juni 2020.

Monica Gagliano wollte den Artikel zunächst nicht kommentieren. Sie verweist stattdessen auf die offiziellen wissenschaftlichen Kanäle. Sie werde einen Antwortartikel bei eLife einreichen, die Entscheidung über die Veröffentlichung liegt dann bei der Redaktion.

Für Kasey Markel sind Erbsenpflanzen derzeit kein Thema. Für seine Doktorarbeit hat er sich ein anderes Feld gesucht: er erforscht jetzt unter anderem Möglichkeiten, den Vitamingehalt von Reis und Tomaten zu erhöhen.

Update (20.9.2020):

Am 10. September 2020 erschien bei eLife eine Reaktion von Monica Gagliano und vier ihrer Kollegen. Ganz klar halten sie an ihren ursprünglichen Beobachtungen und Schlussfolgerungen fest und sehen das Scheitern der Wiederholung bei Versuchsaufbau von Kasey Markel. Dieser sei gar nicht geeignet, den Lernprozess nachzuweisen oder zu widerlegen.

Ihr Hauptargument ist, dass in der Wachstumskammer von Kasey Markel weniger Platz zwischen den Pflanzen war, als bei dem Originalexperiment im Jahr 2016. Das führt dann dazu, dass im jeweils unbeleuchteten Arm der Y-förmigen Rohre zu viel Licht aus dem Hintergrund eintreffe. Es sei daher viel zu hell, um der Pflanze eine eindeutige Richtung anzuzeigen und dann würde sie eben in eine zufällige Richtung wachsen.

In seiner Antwort darauf betont Kasey Markel, dass alle Pflanzen gleichzeitig beleuchtet wurden. Das Hintergrundlicht erhellt nur dann den unbeleuchteten Arm des Y, wenn die Lampe im anderen Arm auch eingeschaltet ist. Deren Helligkeit ist aber weitaus stärker.

Zusätzlich möchte er die Helligkeit in den unbeleuchteten Armen messen und miteinander vergleichen. Im Nachhinein ist das natürlich schwer. Es gibt aber Videoaufnahmen vom ersten Experiment und von seiner Wachstumskammer hat Markel Fotos. Da in beiden Experimenten die gleichen Lichtquellen verwendet wurden, können die Bilder so angepasst werden, dass sich Helligkeiten vergleichen lassen, auch dann, wenn unterschiedliche Kameras mit unterschiedlichen (und heute unbekannten) Einstellungen verwendet wurden. Und dann ist kaum ein Unterschied in den unbeleuchteten Armen der beiden Experimente zu erkennen. Das heißt, für Markel ist die Begründung nicht ausreichend.

Zum Abschluss seiner Antwort betont er jedoch: “Sicher, das alles schließt die Möglichkeit des Lernens [in Pflanzen] nicht aus und ich hoffe ganz ehrlich, dass zukünftige Forschung das Phänomen reproduzieren kann.” Er weiß von mindestens zwei Laboren, in denen derzeit an einer Wiederholung des Versuches gearbeitet wird. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen und es bleibt spannend.

©Niko Komin (@kokemikal)


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